Ich kann das ganze Drama um Microsofts Cross-Gen-Strategie, das bisher übrigens primär außerhalb dieses Forums stattgefunden hat, absolut nicht nachvollziehen.
Dass der Übergang diesmal nicht von PowerPC und Cell auf X86 stattfindet, sondern von X86 auf X86, wird die Entwicklung von Spielen sicherlich erleichtern, dennoch wird es in den neuen Konsolen diverse für Konsolen neue Technologien wie SSDs und Raytracing geben, in die sich die Entwickler erstmal einarbeiten müssen. Das Ausreizen dieser Technologien wird noch länger dauern. Jetzt kann man argumentieren, dass diese Technologien schon einige Zeit auf dem PC verfügbar sind und die Entwickler schon Erfahrungen sammeln konnten, jedoch sollte man auch nicht außer Acht lassen, dass SSDs und Raytracing auf dem PC weiterhin optional sind. Bis auf Star Citizen, das ohne SSD ziemlich mies läuft, werden die meisten PC-Spiele eben noch für Systeme ohne SSDs und ohne Raytracing entwickelt.
Zudem hat uns diese Generation ziemlich deutllich gezeigt, dass die Entwicklung großer, grafikintensiver Big-Budget-Spiele locker 2-4 Jahre dauern kann. Spiele, die zum Launch oder im ersten Jahr der Konsolengeneration erscheinen sind, sind also höchstwahrscheinlich bestenfalls 2019 in die Produktion gegangen. Im schlechtesten Fall sogar schon 2016. Das sind also entweder Spiele, die in einem relativ kurzen Zeitraum zusammengeschustert werden, oder Spiele, die noch auf sich permanent verändernden Variablen hin entwickelt wurden, die höchstwahrscheinlich vor noch nicht allzu langer Zeit zu Konstanten, also festen Konsolenspezifikationen, geworden sind.
Spiele, die schon seit 3 Jahren in Entwicklung sind, werden die neuen Konsolen sowieso nicht völlig ausreizen, egal ob sie nun Next-Gen-exklusiv sind oder nicht. Und bei Spielen, die noch nicht so lange in Entwicklung sind, die aber technische Next-Gen-Showcases sind, wird es in der Konsequenz an Substanz mangeln, weil eben ein Großteil der kurzen Entwickungszeit für die technische Optimierung draufgegangen ist.
Und wie das ausgeht, kennen wir ja. Man muss ich nur mal die exklusiven Current-Gen-Spiele aus 2013 und 2014 anschauen. Die meisten davon hinken neueren Spielen technisch mittlerweile hinterher, obwohl sie damals Technikbretter waren, gleichzeitig aber mangelt es ihnen an Umfang oder Qualität. Wer würde heutzutage ein Killzone Shadowfall, ein Ryse, ein Infamous Second Son oder ein Ryse noch als Meilenstein bezeichnen, geschweige denn als eines der besten Spiele dieser Generation? Diese Spiele sind mittlerweile nahezu in Vergessenheit geraten, während Cross-Gen-Spiele wie AC Black Flag oder Dragon Age Inquisition aus dem gleichen Zeitraum immer wieder in Diskussionen auftauchen. Ich würde mal behaupten, dass wir echte Next-Gen-Spiele mit Substanz, die nicht nur glorifizierte Tech-Demos sind, nicht vor 2015 zu sehen bekommen haben - wie z.B. ein The Witcher 3.
Ich kann ja durchaus verstehen, dass man echte Next-Gen-Spiele haben möchte, wenn sich für vielleicht 500 Euro eine neue Konsole kauft. Ich fand's damals auch für jeweils eine Stunde echt super, mich nach dem Einbau einer neuen Grafikkarte von den Grafiken im 3D-Mark wegblasen zu lassen. Nur ist dieser kurze Thrill es wirklich wert, dafür Spiele zu spielen, die hinter ihrer hübschen Fassade aufgrund der Zeitdrucks eher mittel- bis unterdurchschnittliche Spielerfahrungen bieten? Ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen, aber ich glaube aus Erfahrung nicht dran, dass die erste Welle an reinen Next-Gen-Spielen dauerhaft überzeugen wird. Da würde ich doch lieber Spiele spielen, die noch für die Current-Gen-Konsolen entwickelt wurden, dafür aber aufgrund der längeren Entwicklungszeit in Sachen Story, Spielmechaniken oder Umfang eher überzeugen können. Und selbst von diesen Spielen wird man auf Next-Gen-Konsolen bessere Versionen mit mehr Details und höherer Auflösung und/oder Framerate spielen können.
Mag sein, dass mein Blick auf diese Dinge ein wenig verklärt ist, da ich derzeit nicht damit plane, vor 2022 oder 2023 eine Next-Gen-Konsole zu kaufen und ich natürlich enorm davon profitiere, wenn es länger Cross-Gen-Spiele gibt. Aber diese Entscheidung habe ich nicht nur getroffen, weil mir die voraussichtlichen Preise der Konsolen und deren Unterhalt einfach zu teuer sind und ich deshalb lieber auf günstigere und vor allem stromsparendere Modelle warte.
(Kurzer Einwurf: Grade beim Energieverbrauch werden sich viele Next-Gen-Käufer noch erstaunt umgucken.)
Ich bin 2014 auf den PS4-Zug aufgesprungen, weil ich mich von dem Next-Gen-Hype hab anstecken lassen. Und in nachhinein ist das (zusammen mit einigen Grafikkartenkäufen) eine der dümmsten Gaming-Entscheidungen, die ich je getroffen habe. Bis weit in 2015 hab ich locker 80% meiner Spielzeit auf Last-Gen-Konsolen verbracht, weil das Spieleangebot auf den Current-Gen-Konsolen bis dahin ziemlich erbärmlich war und die Last-Gen schlicht und einfach die besseren Spiele bot.
Von daher bin ich der festen Überzeugung, dass von einer 1-2 Jahre währenden Übergangsphase mit möglichst vielen Cross-Gen-Spielen alle Spieler profitieren können. Alleine schon deshalb, weil in diese Cross-Gen-Spiele weitaus mehr Ressourcen gesteckt werden können, da sie sich nicht an eine kleine Zielgruppe von einer Handvoll Millionen Next-Gen-Käufern richten, sondern an einen Markt mit über 150 Mio. verkauften Konsolen.
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Davon abgesehen ist, glaube ich, seit einiger Zeit auch deutlich erkennbar, dass Microsoft und Sony mittlerweile unterschiedliche Strategien fahren. Die Sony-Verantwortlichen haben ja in Interviews schon vor einiger Zeit gesagt, dass sie sich vor allem auf Blockbuster-Spiele und große 3rd-Party-Spiele konzentrieren und eine möglichst Schnelle Migration von Current- auf Next-Gen vorantreiben wollen. Sonys Strategie ist also vor allem darauf ausgerichtet, den Walled Garden so geschlossen wie möglich zu halten und durch Verkäufe ihrer Hardware-Plattform die Software-Verkäufe anzukurbeln.
Microsofts Strategie wiederum ist seit einiger Zeit darauf ausgerichet, die Software einem möglichst breiten Publikum zugänglich zu machen und den Umsatz durch teilweise Hardware-unabhängige Software und Services. Deswegen gibt es den Microsoft Store auf Xbox und Windows, Play Anywhere, den Game Pass für PC und Konsole, die XCloud-Beta und Xbox-Spiele auf Steam und Switch. Während bei Sony die Hardware (PS4/PS5) die zentrale Säule ist, will Microsoft hin zu einem Ökosystem, das in der Lage ist, mehr Plattformen zu bedienen als nur die Xbox-Hardware.
Und deshalb ergibt es für Microsoft auch wenig Sinn, nicht schon Ende 2020 einen harten Schnitt zu machen und die XB1-Kunden durch reine Next-Gen-Exklusivspiele zu einer schnellen Migration zu zwingen. Die nächsten paar Jahre sind (so interpretiere ich das zumindest) vor allem darauf ausgerichtet, Vertrauen in dieses durchaus etwas andere System aufzubauen und die Kundenbindung (z.B. durch den Game Pass) zu stärken.
Und wenn man sich die Studio-Käufe der letzten Jahre so anschaut, kann man auch ganz gut erkennen, wie sich das in Zukunft weiterentwickeln könnte. Diese Studios sind keine Mega-Studios wie Naughty Dog oder Insomniac, die alle paar Jahre einen Blockbuster abliefern, sondern es sind eher kleinere bis mittelgroße Studios, die aber wiederum in der Lage sind, wesentlich häufiger kleinere bis mittelgroße Projekte zu realisieren.
Und genau das ist der Schlüssel zu Microsofts Service-Strategie. Mit 343i, The Coalition oder Turn 10 hat man immer noch Studios, die Big-Budget-Produktionen liefern können und so die Hardware-Verkäufe ankurbeln, aber um die Services wie Game Pass und XCloud dauerhaft interessant zu gestalten und die Kunden zu binden, braucht es einen permanenten Fluß an neuen Spielen.
Und die müssen nicht gezwungenermaßen das Format eines The Last Of Us haben. Das ist Gegenteil wahrscheinlich sogar eher hinderlich. Wenn Du im Jahr nur 3-4 große Blockbuster hast, die man innerhalb eines Monats durchspielen kann, bekommst Du am Ende nur On/Off-Abonnenten, die in den VÖ-Monaten auf das Abo draufspringen, danach aber erstmal wieder gehen. Wenn man aber mit einen gesunden Mix aus interessanten, kleineren 1st-Party-Spielen, 1st-Party-Blockbustern und den 3rd-Party-Spielen einen permanentem Nachschub an frischen Spielerfahrungen anbieten kann, erreicht man dadurch viel eher dass die Kunden dem Service permanent treu bleiben. Und darauf zielt Microsofts Strategie meiner Meinung nach ab.
Interessanterweise ist das in den Grundzügen eigentlich Sonys Strategie, denn Game Pass/XCloud sind eigentlich nur die konsequente Weiterführung von Instant Game Collection (PS Plus) und PS Now. Nur anscheinend ist Sony derzeit nicht so sehr daran interessiert, diese Services in den Fokus zu stellen.
Klar, nicht alle Spieler können sich mit der Idee von Gaming-Abo-Services (übrigens nicht zu verwechseln mit Games-As-A-Service) anfreunden, aber grade deshalb ist es halt auch gut, wenn die einzelnen Konsolenhersteller/Plattformbetreiber eigene Wege gehen, anstatt wie bisher nur leicht unterschiedliche Versionen der gleichen Idee anzubieten. So kann sich jeder Kunde aussuchen, welchem Angebot man folgen möchte.